13.02.2024
Rechtspopulismus als Risiko für Investitionen, Arbeitskräfte, Rechtsstaat: Umfrage unter Mitgliedern
Standortrisiko Rechtspopulismus: Die Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung der Grünen stufen das Erstarken nationalistischer Tendenzen und der AfD als „beunruhigend“ ein. Das ist Ergebnis einer aktuellen Umfrage. Konkret sehen mehr als 80 Prozent ein Risiko für Investitionen am Wirtschaftsstandort Deutschland und für das Gewinnen von internationalen Fachkräften, insbesondere auch für die betroffenen Bundesländer. Dahinter stehen klare Gründe: Mehr als 90 Prozent bezeichnen mit Blick auf die deutsche Wirtschaft die ablehnende Haltung der AfD zur EU, zum Euro, zu Migration und zum Ausbau der erneuerbaren Energien als „eher schlecht“ und ganz überwiegend sogar als „sehr schlecht“ oder „sehr schädlich“.
Auch um den Rechtsstaat sorgen sich die Mitglieder. Die Erfahrung in Polen zeigt, dass rechtsstaatliche Regeln und Institutionen von Parteien oder Regierungen untergraben werden können. Bei einem Erstarken von Extremen könne Vergleichbares auch in Deutschland eintreffen: Das halten mehr als zwei Drittel der Befragten aus der Wirtschaft für „eher wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“.
Mögliche weitere Risiken sehen rund 40 Prozent insbesondere im Bereich der politischen Kultur in Deutschland, rund 25 Prozent vor allem im Bereich handlungsfähiger Regierungen auf Ebene der betroffenen Bundesländer; bei dieser Frage war zwecks klarer Priorisierung jeweils nur eine Nennung möglich, sie war unabhängig von der Frage nach Risiken für den Rechtsstaat gestellt.
Deutlich ist auch die Haltung zu den Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen des Krieges in der Ukraine. Forderungen aus der AfD nach Beendigung der Sanktionen und einer Wiederannäherung an Russland halten rund 90 Prozent der Befragten für „eher schlecht“ und überwiegend „sehr schlecht“.
Ablehnung von Zuwanderung „schädlich“ bis „sehr schädlich“
Die rechtspopulistische Ablehnung von Zuwanderung ordnen fast alle Befragten für die deutsche Wirtschaft als eher schädlich oder sehr schädlich ein. Tatsächlich zeigen Berechnungen, etwa des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, die Bedeutung von Migration zur langfristigen Sicherung der Arbeitskraft im Land. Für die meisten Unternehmen der Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung sind laut der Umfrage Beschäftigte mit Migrationshintergrund wichtig oder sehr wichtig. Mehr als 75 Prozent sorgen sich auch, dass ein Erstarken des Rechtspopulismus ein Risiko ist für den Zusammenhalt in den Betrieben mit Beschäftigen mit Migrationsgeschichte.
Die Umfrage richtete sich an alle rund hundert Mitglieder der im April vergangenen Jahres gestarteten Wirtschaftsvereinigung der Grünen. Dazu gehören sowohl Unternehmen und Unternehmensverbände als juristische Personen und damit Fördermitglieder als auch Führungskräfte aus Unternehmen als natürliche Personen und damit ordentliche Mitglieder. Rund die Hälfte von ihnen nahm an der Umfrage teil. Die Mitglieder sind in ihrer großen Mehrheit keine Mitglieder der Grünen; die Wirtschaftsvereinigung ist ein unabhängiger unternehmerischer Verein mit den Grünen als politischem Gegenüber, ähnlich wie der Wirtschaftsrat der CDU oder das SPD-Wirtschaftsforum.
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Stimmen aus der Wirtschaftsvereinigung der Grünen zum Thema:
Thomas Fischer, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsvereinigung der Grünen, Gründer und CEO Allfoye GmbH in Düsseldorf: „Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist der Trend zu rechtspopulistischen und sogar rechtsextremen Positionen Grund zur Sorge. Die CEO, die Führungskräfte in den Unternehmen unseres Landes können hier ihren Wirkungskreis nutzen, um den Scheinlösungen und Schuldzuweisungen der Populisten widersprechen. Und zugleich kommunikative Brücken bauen zu den Menschen, die sich abgehängt fühlen. Weltoffenheit ist ein Kern unseres Wohlstands und unserer Wettbewerbsfähigkeit, von der Europäischen Union als unserem Wirtschaftsraum bis zu unseren Belegschaften mit Mitarbeitenden vieler Hautfarben und Herkunftsländer. Dafür müssen auch wir als Verantwortungsträger aus der Wirtschaft in aller Klarheit eintreten.“
Andreas Jäger, geschäftsführender Gesellschafter der Jäger Group in Hannover, Familienunternehmen mit Sitz in Hannover, mit Fokus Gummi- und Kunststoffindustrie: „Wenn wir die unsäglichen Deportationsfantasien der Rechten zuließen bei unseren eingewanderten Beschäftigten, dann müssten wir in unserem Unternehmen 50 Prozent der Fertigung stilllegen. Diese Kolleginnen und Kollegen gehören zu uns. Ohne sie ist unser Wohlstand nicht zu erhalten. Schon heute fehlen allein in Niedersachsen hunderttausend Fachkräfte. Alle, die aus Verunsicherung oder Protest rechtsextrem wählen, sollten wissen: Sie gefährden damit ihren eigenen Wohlstand.“
Andreas Hettich, Mehrheitseigentümer Hettich Gruppe im nordrhein-westfälischen Kirchlengern, mit Fokus Möbelbeschläge: „Auf lange Sicht geht die Arbeit dahin, wo die Fachkräfte sind – wenn wir keine Zuwanderung von Arbeitskräften haben, haben wir eine Abwanderung von Unternehmen. Auch Flüchtlinge sind ein Potenzial, das wir sehen sollten. Deshalb sind populistische Parolen gegen Migration auch einfach wirtschaftsfeindlich, sie schaden am Ende uns allen.“
Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e. V.: „Handel hat seinen Ursprung im Überwinden von Grenzen. Erfolgreiche Kaufleute müssen offen sein für Neues und Fremdes. Unsere Mitgliedsunternehmen stehen in dieser Tradition des verbindenden Handels, von dem unzählige Kundinnen und Kunden profitieren. Deshalb lehnen wir politischen Extremismus, populistische Erklärungsmuster in einer komplexen Welt sowie Fremdenfeindlichkeit und den Missbrauch von Minderheiten als Sündenböcke ab und machen uns stark für Vielfalt.“
Präsentation der Umfrageergebnisse